Gestatten: Heinzlmaier, Trendagent

Ein seit Menschengedenken bekannter Brauch (um nicht zu sagen: eine abgestandene Unart) ist es, sich über „die Jugend“ zu mokieren. Wahlweise gilt sie als unangepaßt und deshalb unerzogen, sie wird als flegelhaft, unzuverlässig und verantwortungsscheu denunziert. Dann wieder begegnet man (falls man nicht entnervt abschaltet) der anderen Variante: wo bleibt nur der rebellische Geist. „Die Jugend“ gilt dann als angepaßt, utopiefern, fromm und gehorsam und als getreues Abbild bürgerlichen Erwachsenendaseins.

Letztere Variante bot am 29.01.2018 ein Interview mit einem von der Moderation des Deutschlandfunk als „Jugendforscher“ präsentierten Herrn aus Österreich. Magister Heinzlmaier, Titel und Name hat sich nicht etwa Helmut Qualtinger ausgedacht, beforscht junge Menschen. Folge seiner Bemühungen im soziologisch-empirischen Fach, so der Eindruck nach dem Interview: er kann sie nicht leiden.

Sie sind ihm nicht rebellisch genug. Der Juso-Vorsitzende Kühnert etwa sei ein „früh gealterter“ Junger, der „in vierzig Jahren ein Martin Schulz“ sei. Diese Logik besticht: ist der junge Mann unangepaßter, als die gesammelten Gewißheiten des wienerischen Forschers erlauben, hilft der Blick in die ferne Zukunft à la: na wartense mal ab. So bringt mans zum Seher, und die ebenso einfältige wie unverschämte Behauptung gerät zur kennerisch desillusionierten Prognose. Eine taugliche Antwort auf die naheliegende Frage, was denn jugendhaft rebellisch sei und wie sich das äußern müßte, bleibt aus. Stattdessen kommt der sensationelle Hinweis auf „die 68er“. Die hätten was riskiert. Im selben Moment fällt ihm ein, daß so mancher als 68er plakatierter Zeitgenosse beachtliche bürgerliche Karriere machte. Weitere Ausführungen zur Frage, wie er es denn lieber hätte, unterbleiben. Baader-Meinhof pp waren ihm wohl doch zu rebellisch. Was folgt, ist eine Suada aus Ressentiment und Vertreterjargon: den jungen, und nicht nur denen, fehle der „Leidensdruck“. Anders sei das, so die erstaunliche Einschränkung, vielleicht noch bei „ein paar Journalisten und Journalistinnen und Kommentatoren, denen das, weil sie sich jeden Tag damit beschäftigen müssen, auf die Nerven geht.“

Was zu der Frage führt: wie muß es einem gehen, der sich Tag für Tag mit der so enervierend konformistischen Jugend befaßt? Der apokalyptische Anpassungsbereitschaft mit ansehen muß? Der in der Jugend nur die Greise von morgen sieht, unterwegs zu Amt und Würden?In Parteien, die allesamt, dies die wienernde Befundlage , nicht mehr wissen, wofür sie stehen – alles nur noch Form und Ritus, egal wohin das Auge schaut. Wie muß es einem zumute sein, der dem österreichischen Kanzler Kurz beim Grüßen zuschaut und in dessen höflich angedeuteter Verbeugung nur einen „Diener“ erkennt.

Woher hat der Herr Heinzlmaier nun seine Kenntnisse (nennen wir sie einmal so)? Er gewinnt sie nicht nur in Wien, wo sein Institut für die Beforschung junger Leute seinen Sitz hat, sondern auch in Hamburg. Auch dorthin hat es ihn wie weiland seinen Landsmann Freddy Quinn verschlagen. Während aber der Sänger und Zirkusartist im vornehmeren Sasel Wohnung nahm, logiert Magister Heinzlmaier auf einer kleinen Büroetage in der spießigen Wandsbeker Marktstraße. Dort ist die Firma T-Factory Trendagentur ansässig, und die verspricht dem Kunden alles, dafür sind es schließlich Kunden. Vor allem Aufschluß darüber, wie die „sechs Jugendmilieus ticken und was sie erwarten, mit welcher Botschaft und welchen Schlüsselreizen Sie Aufmerksamkeit in Ihren (zukünftigen) Zielgruppen erlangen, wie Sie Ihre Produkte richtig `tunen´, um sie zukunftsfit zu machen, mit welcher Unternehmenskultur Sie ein motiviertes und loyales Team aufbauen, welche Werte Ihr Unternehmen bzw. Ihre Marke langfristig erfolgreich machen.“

Usw. Usf.

Las man eben noch, s. DLF-Interview, von uniformer Gehorsamsbereitschaft der Jugend, die der Generation der Alten (fast) bis aufs Haar gleiche – „Sie sind nur ein wenig anders gekleidet und haben andere Frisuren“ – so liest man s nunmehr anders als vor Tische, denn jetzt geht’s ran an die Kundenakquise. Von wegen alles eine Sorte. Volle sechs Milieus (warum nicht fünfe oder achte?) der Jungen hat der Agent ermittelt. Und deren Spezifika möchte er seinen Kunden als geheimes Wissen andrehen andienen, dies zu einem Tageshonorar von 1450 € (+ 20 % Mwst.) pro Teilnehmer und 20% Rabatt für jeden weiteren aus derselben Firma.

Hatte man nach dem Interview noch gedacht, ein Milieu für alle genügt weil iss doch sowieso alles eine einzige präsenil konformistische Sorte, erfährt man nun:

„Im Zentrum steht die Beschäftigung mit jugendlichen Trendsettern und Early Adopters. Sie sind in ihrem Umfeld die Meinungsführer und Innovatoren, die sich intensiv mit trendrelevanten Themen auseinandersetzen. Einerseits sind sie sensibel für neue Entwicklungen, andererseits gerade in diesem Bereich auch meinungsbildend.“
Es gebe da Konservativ-Bürgerliche, es gebe Postmaterielle, außerdem sog. Performer, ferner Hedonisten. Zwei Milieus hätten neue Strategien entwickelt: die sog. digitalen Individualisten und die sog. Adaptiv-Pragmatischen (Frage am Rande: sind Mehrfachnennungen möglich? Gibt es adaptiv-pragmatische Hedonisten, postmateriell getunt? Was ist mit dem non-adaptiven Performer? Dem konservativ-bürgerlichen Pragmatiker?) Und „eine neue Elite“ gibt es auch, das sind „die Meinungsführer und Innovatoren“.

Seltsam, seltsam. Eben hieß es noch: alles angepaßte junge Greise. Was, nur dies noch und am Rande, mich zu der Frage führt: wie ist es dem geschwätzigen Vertreter nur gelungen, der Vergreisung zu entgehen? Und ist seine sprachliche Dutzendware, diese parfümierte Logorrhoe aus Werbeprospekt und Brechmitteljargon (early adopters, trendsetter etc) nicht gerade das Symptom der Angepasstheit?

Alter Außendienstlertrick: Neologismen müssen her, neue Worte für alte Hüte. Das schafft Aura, das mimt Erkenntnisvorsprung.

So weit, so dumm. Man könnte den ganzen trostlosen Bettel ignorieren, hätte nicht ein Sender mit beachtlicher Reichweite den Magister und Trendagenten als „Jugendforscher“ präsentiert. Umso verdienstvoller die Interviewerin, die den Werbeheini in aller Beherrschtheit als das vorführte, was er ist: als Schwätzer mit Geschäftsmodell.

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