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Don Alphonso der Animierende, der so klar wie subtil Schmähende und – gibt es ein deutsches Wort, das dem angelsächsischen „contrarian“ gleichkommt (man verschone mich mit „Querdenker“)? – der Aufklärende, sage ich, und füge an: Don Alphonso, der Mann des heiteren Dagegen, eines betrachtsamen Bedenke-aber-wohl, er schaut sich im Veneto um, jener nordostitalienischen Region der stilbildenden Villen und ihrer Gärten, der Fresken und ihrer galanten Szenen, der baulichen Ensembles, denen der Makel des ihren Eigner ernährenden Knechtes unter ihm (so Ernst Bloch) nicht anzusehen ist, was nicht schadet, zumal man es eh ahnt, denn einer muß doch das Marmorgestein brechen, herbei-schleppen und behauen (wenn einer da mal genügt) und die Farben für Fresken und Gemälde reiben.
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Was die Kunst und ihre Geschöpfe und die Fertigkeit ihrer Erschaffung nicht geringer macht und die Verkommenheiten einer herrschenden Klasse noch viel weniger. Die sich keinesfalls nur im Veneto und keinesfalls nur in Italien, jenem Land, dessen Bewohnern ich (bis auf wenige Ausnahmen) traditionell eine prononcierte Sympathie entgegenbringe, unverdrossen breit macht. Und die sich bspw. (bspw.!) nicht schämt, das technisch grandiose, von manchen technisch angezweifelte Projekt namens Mose, nämlich einer Abschirmung der venezianischen Lagune gegen die Gezeiten der Adria, zum Wirtstier fetter Selbstbedienung zu machen und deren Profiteure sich daran hängen wie die Ferkel an die Zitzen der Muttersau, während die regionale Presse berichtet, daß in den eng budgetierten Schulen der Serenissima das Toilettenpapier fehlt und mancher darob finden mag (verständlich finde ich es), daß man die Verantwortlichen schon deshalb in der Lagune ersäufen sollte wie junge Katzen im Klo.
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Zustimmung verdient Don Alphonsos Hinweis auf den rechten Gebrauch der Freiheit und ihre Reichweite. Der nicht lang nach Moralität fragt (wo käme sonst das Geld für die Villen her), zumindest nicht nach ihren tagesaktuellen Hütern, nicht nach Maß und Ziel und Kanon des Verbotenen, wenn es um die Kunst geht und all ihre Möglichkeiten, das Dasein zu begreifen, es zu feiern, zu belächeln, zu beschwören und zu illustrieren, und sei es mit galanten Fresken in einem Adelspalast. Als ich unlängst las, ein Imam habe der rheinland-pfälzischen CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner, mit der er zum Gespräch verabredet gewesen war, den Händedruck verweigert und sie daraufhin auf das Gespräch mit ihm verzichtet, fand ich letzteres kritikwürdig (ersteres auch, gelinde gesagt), weil Frau Klöckner damit die Gelegenheit vergab, dem Vertreter einer hochmütigen Wüstenfrömmigkeit zu bedeuten, er möge seine Hammelpfote doch bei sich behalten (bei den nordhessischen Bergvölkern sagt man: Laß die Hand am Sack, Manni!) und sich im übrigen doch bitte zum Teufel scheren. Ich hole das an dieser Stelle für sie nach.
Wie indes Johann Wolfgang von Goethe zutreffend anmerkte: Jedes ausgesprochene Wort erregt sogleich den Gegensinn. Was also, wenn der morgenländische Pfaffe der abendländischen Frau Klöckner mit allem Respekt minus Händedruck hätte begegnen wollen? Was, wenn er erläutert hätte, in der Wahrung vollkommener körperlicher Distanz komme sein tief empfundener Respekt für sie und für die Frau ganz generell zum Ausdruck? Allein um die erhabene Reinheit der Begegnung sei es ihm gegangen, die von selbst der kleinsten Variante, selbst nur der Andeutung eines körperlichen Kontaktes freigehalten werden müsse?
Ja hätt er doch, ach wüßte man es doch. Man weiß es aber nicht, und auch wenn man es wüßte, müßte man ihn immer noch fragen: wieso halten Sie, verehrter Imam, Ihren Kanon des Gebotenen für verbindlich, für verbindlicher noch als den Ihres Gegenüber? Welche Regungen müssen Sie im Zaum halten, ohne es wirklich zu können, wenn Ihnen eine Frau entgegentritt und Ihnen die Hand reicht? Kann es sein, verehrter Imam, daß es eine gewisse verbockte Geilheit ist, die Ihnen auf dem Weg über einen spastischen Verhaltenskodex jenes fromme Befinden spendet, das ein Bekannter von mir, er ist aus England, mit der für ihn und sein Volk so eigenen Unaufgeregtheit kommentierte: Je tiefer der Glaube, je näher der Satan?