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Mit Österreich geht es bergab. Und das liegt nicht an der Bergwelt, ihrem Zauber und ihren Hängen. Es liegt an der Rente.
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Ein “Renteneintrittsalter von weniger als 60 Jahren” meldet Christian Geinitz, derzeit (quousque tandem?) stationiert in Wien, am 22.10.2015 auf faz.net. Und das nicht zum ersten Male.
Man wüßte gern näheres: Wovon redet der Mann? Vom gesetzlichen Renteneintrittsalter (in Österreich spricht man von Anfallsalter)? Für wen soll es gelten? Für Männer? Für Frauen? Für alle Österreicher beiderlei Geschlechts (uralter Kalauer: wer hat schon sowas)? Meint er Rente (in Österreich nennt man sie Pension) wegen Alters? Wegen Erwerbsunfähigkeit? Hinterbliebenenrente? Rente nach Altersteilzeit? Nach Arbeits-losigkeit? Nach wie vielen beitragspflichtigen Jahren kann sie vor dem 65. Lebensjahr (das ist auch in Österreich das Regelalter für ungekürzten Pensionsbezug, lies: website der österreichischen Pensionsversicherung) bezogen werden? Hier die Antwort: 540 Beitragsmonate = 45 Jahre müssen es schon sein. Man kennt diese Regelung (und das dazugehörige Gebarme und Gemuhe der interessierten Verbände und ihrer Saalbläser) aus Deutschland.
Im Jahre 2014, so entnimmt man es verläßlicher Quelle, lag das durchschnittliche Zuerkennungsalter in Österreich bei 60,8 Jahren (für Männer), wobei dieser Wert nicht zwischen Renten wegen Alters und solchen wegen Invalidität (Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit) differenziert (Quelle: Bundesanstalt Statistik Österreich), maW der Durchschnitt aus Rente wegen Alters und der wegen Erwerbsunfähigkeit nichts über das – herrliches Wort – Anfallsalter des österreichischen Altersrentners aussagt.
Keine Frage: komplexe Themen wie bspw. die Sozialversicherung in all ihren diffizilen bis delikaten Regelungen, Bestimmungen, Definitionen, ihren Tabellen, Spalten und Berechnungen passen kaum in die enge Spalte, die eine (idR mit Grund) renommierte Tageszeitung ihrem Mann vor Ort zur textlichen Befüllung freimacht. Und zu ermitteln, wann welche Regelung für welchen Personenkreis gilt und galt, macht ihm den Fall gewiß nicht leichter.
Weshalb der Verfasser sich nicht lange mit Detailfragen aufhält, schon gar nicht solchen, deren Beantwortung ein Mindestmaß an Recherche (neudeutsch: Faktencheck), dh fachlichem Einmaleins voraussetzt. Plakate müssen her, bewährte Motive: die heißen Reformstau und Wettbewerbsfähigkeit, und die Privatisierung ist das Heilmittel, das nicht ein einziges der Probleme löst, von denen die Rede ist (und von denen nicht in jedem Falle sicher ist, ob es überhaupt welche sind), aber immerhin das Wohlbefinden verschafft, das mit der Rezitation aktueller Jargonbrocken einhergeht.
Herr Geinitz, der vor knapp drei Jahren in seinem Blog auf faz.net beklagte, Deutschland habe keine Künstler “von Weltrang”, wofür er als Beispiel allen Ernstes Elton John benannte (weil der vom Konzertflügel aus Ai Weiwei gelobt hatte, und das “mitten in Peking”), hatte es vor kurzem schon mal mit Österreich und einer gewissen Bräsigkeit, die er als landestypisch erkannt haben will. Am 20.07. 2015 vermeldete er auf faz.net einen veritablen Skandal, Tatort ist, ja was denn denn sonst, schon wieder Österreich; im Wortlaut: “Seit Juli erhalten Kinder bis zum 18. Geburtstag ihre Zahnspangen gratis”. Das Rentenalter vermeldet Herr Geinitz im selben Artikel unverdrossen als bei 59 Jahren liegend, wobei ihm, siehe oben, der Unterschied zwischen Altersrente und Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vor lauter kostenfreien Zahnspangen und ihren minderjährigen Eignern aus dem Blick gerät.
Von Deutschlands Nachbarland, das sich einige undeutsche Bequemlichkeiten leistet (darunter das Aufenthaltsrecht samt Arbeitserlaubnis für einen Auslandskorrespondenten mit deutschem Migrationshintergrund), meldet unser Mann in Wien, daß es “über seine Verhältnisse (lebt) und sehenden Auges in die Misere segelt, wenn es nicht bald umsteuert.”
Ich spüre Brandgeruch aus dem Maschinenraum, wo eine Mannschaft treu werkt und mit ihren Sozialbeiträgen die Seniorenmischpoke bei Laune hält, und auf dem Oberdeck spielt sich furchtbares ab: österreichische Rentner, pardon: Pensionisten unterschiedlichsten Alters und Geschlechts, erwerbsfähig oder nicht, feiern mopsfidel samt Paartanz, Abklatschen und Polonaise den Rentenanfall. Da ist es ein Trost, daß Christian Geinitz, eine Art John Maynard der neoliberalen Prospekthaftung, wenn schon nicht an der Ruderpinne so doch an seinem Laptop, vom Bildschirm fahl angeleuchtet, in einsamer Nacht einsam wacht oder zumindest (im Kaffeehaus?) so tut, soweit er nicht Zahnspangen durchzählt.
Und wem es zu weit ist bis Buffalo, der bucht, na sammer fesch, halt Wien. Leis erklingt dort eine alte Weise: Die Schwalbe fliegt über den Wolfgangssee.