Aufquellender Lobgesang

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Drei unkluge Mädchen wären gern berühmt. Was tun? Mannequin? Modeschöpferin? Filmstar? Na ja. Eine Band gründen? Genau. Eine Punk-Band. Musikalische Grundkennt- nisse erwünscht, aber nicht Bedingung. Allerdings: runde vierzig Jahre ist das Genre alt, also nicht mehr so ganz im Rebellenalter. Die Schlachten sind geschlagen, die Rebellion hat gesiegt. Da kann eine kleine Obszönität nicht schaden: Pussy Riot, zu deutsch: Pflaumenrabatz. Was immer noch keine Gagen garantiert, keine Auftritte und kein Publikum, denn mit der Oberweite und dem Hintern wackeln viele. Die rettende Idee: Die Freiheit ist bedroht, wenn nicht gar beseitigt: von der Regierung und der orthodoxen Kirche Rußlands, beide nicht eben bekannt für Duldsamkeit und Liberalität und, was nicht der Grund dafür sein muß, im Westen nicht eben beliebt. Also gibt s ein spastisches Tänzchen in der Kirche vorm Altar, debilen Text und dazu Gesang, daß es den Hund friert: die blasphemische Idiotie bringt Polizei und Gericht auf den Plan, fällig werden üble Strafmaße und Haftbedingungen.

Der Plot ist aufgegangen, die Überschriften prangen, Freiheit feiert Heldinnen. Denen man nicht die Phantasien sadistisch-orthodoxer Pfaffen und gar deren Vollzug an den Hals wünscht oder auch nur („nur“) die Haftbedingungen eines russischen Frauengefäng- nisses. Die unbedarften Mädchen haben böse bezahlt für ihren Auftritt.

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Zugleich hat er ihnen Lob und Preise eingetragen, unter anderem den Hannah-Arendt-Preis. Das überrascht, jedenfalls mit Blick auf den Namen Hannah Arendt, den die in Bremen ansässige Heinrich-Böll-Stiftung  in Absprache mit dem Hannah Arendt Literary Trust nutzt. Die Frage und erst recht die Antwort darauf bleiben hypothetisch: Was Hannah Arendt und Heinrich Böll wohl gesagt hätten zur Inszenierung vom Tyrannen und seinen Pfaffen und den drei freiheitsliebenden Mädchen. Zu deren Musik (soll man sie so nennen?), hätten sie gewiß geschwiegen und sich die Ohren zugehalten.

Seit einiger Zeit schon sind die drei wieder frei, und mindestens eine hat schon großes vor: in Montenegro will sie ein Museum reinster Weiblichkeit erstellen, dies unter Ägide erfahrener Schwerreicher, wirklicher Feministen der ersten Stunde, sehr erfahren in poli- tischen Kampagnen und der Immobilienspekulation, die sich in Montenegro und an seiner Küste massiv breitmacht.

Den Laudator Ralf Fücks focht das nicht an, denn zum Zeitpunkt der Feierstunde samt Preisverleihung war ihm die Sache mit dem montenegrinischen Geschäftsmodell wohl noch nicht bekannt. Ob sie es heute ist und er sich deshalb verflucht ob seiner Preisrede, ist ungewiß. Die Gewißheit, mit der er Wladimir Putin als zentralen bad guy entlarvt und verdammt, überrascht nur auf den ersten Blick. Denn zum einen ist Mut vor einem Herr- scherthron eine risikoarme Veranstaltung, wenn der Thron jenseits von zwei oder drei Landesgrenzen und ein paar tausend Kilometer weiter östlich liegt, zum anderen fällt heldisches Bekennen leichter, wenn es die party line wahrt und sich aufs Fremdloben beschränkt. Das künstlerische Niveau im Bemühen der zwei Preisträgerinnen (was ist eigentlich mit der dritten im Bunde? Standen ihre Entlassung aus mehrmonatiger U-Haft und Bewährungsstrafe der Preisverleihung entgegen?) kommt in seiner Preisrede nicht vor, wohl aus Gründen des Taktes.

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Dafür ist die Rede vom „schon fast verzweifelten Kampf der Ukraine“ um ihre territoriale Integrität und Souveränität. Daß die Freiheit der Ukraine incl. Krim das Herzensanliegen der einfältigen Mädchen gewesen sei, behauptet indes nicht mal Herr Fücks, denn die trostlose Performance in der Moskauer Erlöserkirche fand statt im Februar 2012, die Annektion der Krim aber frühestens zwei Jahre später, als Fücks nationalreligiöse Tonlagen bei Putin heraushörte. Hilfe für die Ukraine und ihre neuen Eigentümer kam mit und ohne tölpische Girlie-Bands von allen möglichen wie unmöglichen Seiten: Seit an Seit und Arm in Arm, in nobler Gravitas und deutlich unterhalb der Verzweiflungsschwelle sah man Joachim Gauck und Petro Poroschenko der Souveränität entgegen schreiten, den Mann präsidialer, besinnlich-pathetischer Verkündigung also und den Milliardär, der sein Vermögen, abgesehen vielleicht von den ersten paar Millionen, gewiß ehrlich erworben hat.

Zu den vom Laudator als fraglos wahr erkannten Umständen gehört der Angriff Rußlands auf die Ukraine, die sich dessen in freiheitlichem Geiste erwehrt. Welche Absichten und Attacken des Westens, genauer gesagt: der Nato-Staaten unter Führung der USA den russischen Aktivitäten in Sachen Ukraine vorausgingen, bleibt ausgeblendet, sei es aus Kalkül oder wegen Ignoranz. Wer seinen Hegel studiert hat und weiß, daß das Geheimnis jeder Erscheinung sich in ihrer Geschichte löst, mag die Geschichte westlicher Aktivitäten in der Ukraine seit 1953 zur Kenntnis nehmen. Hierbei ist ein jüngst auf cryptome unter dem 03. Januar 2016 veröffentlichter Bericht hilfreich, der nach Ablauf einer 30-jährigen Geheimhaltungsfrist nunmehr zugänglich ist und für das Fiskaljahr 1985 und den entsprechenden Haushaltstitel die Ziele und Operationen der CIA in der Ukraine und Polen nebst ihrer langen Geschichte detailreich und genau schildert.

Welt und Wahrheit nach Fücks bleiben davon unberührt und überschaubar: von Osten dräut Gefahr und Krieg, und dagegen hilft nur der Abbau von Empfindsamkeiten im Austausch gegen herzhafte Aufrüstung, maW Militarisierung zwecks Abschreckung Ruß- lands von einer Invasion Polens, der Ukraine oder auch, warum nicht, des Baltikums.

Fücks sieht die Demokratie in Gefahr – dafür sind Mahner schließlich da – und spricht von der Versuchung, „Augen und Ohren vor unbequemen Wahrheiten zu schließen“. Man fragt sich, mit welchen Worten Hannah Arendt wohl das Schweigen des Lobredners kom- mentiert hätte (wenn sie ihn nicht schlicht ignoriert hätte), das noch aufschlußreicher ist als sein Reden und das, absichtsvoll oder nicht, dem sog. Rechten Sektor, der nicht minder faschistischen Swoboda-Partei und der Vergötzung des ukrainischen Massenmörders und Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera zugute kommt. Verschlossen bleiben nicht nur Augen und Ohren, sondern auch der Mund des Redners, wenn erweislich wahres, Tatsachen also, die Geschichte von Volk und Freiheitskampf vervollständigen könnten und manchen der gefeierten Protagonisten als das vorstellen, was er ist: als nationalistischen Mörder und antisemitischen Schlagetot.

Davon will der Festredner nichts wissen und schon gar nichts sagen, und wenn es zehnmal Tatsache und Wahrheit ist, denn es könnte die schöne Stimmung und den Festakt gleich dazu verderben. In der westlichen Ukraine hat man in jüngster Zeit dem Anstifter und Mittäter massenhafter Judenpogrome Bandera Dutzende monströser wie kitschiger Denk- mäler errichtet. Hinweise auf eine „antisemitische(n) Gefahr“ in der Ukraine denunziert der Festredner Fücks als „gebetsmühlenhafte Behauptungen“. Spätestens hier wird die servile Hymne auf zwei unbedarfte Künstlerinnen widerlich, auch und erst recht ange- sichts der Inanspruchnahme des Namens, der Person und des Wirkens von Hannah Arendt.

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