Alle neune oder: Wie der Ferdinand beim Volksfest seine Unschuld verlor

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Ferdinand von Schirach gilt als versierter und erfahrener Strafverteidiger, zudem ist er ein wirtschaftlich und international erfolgreicher Buchautor. Manchen seiner kleinen Geschichten kommt der lapidare Duktus des Juristen stilistisch zugute, anderen nicht, dieser hier zum Beispiel: Sie heißt „Volksfest“ und läßt stark vermuten, daß der Strafverteidiger von Schirach sein Metier ungleich besser beherrscht als der gleichnamige Buchautor das seine. Anderenfalls müßte man von seiner Mandatierung in Fällen auch nur mittlerer Komplexität abraten.

Daß eine Geschichte unwahrscheinliches erzählt, macht sie noch nicht schlecht. Diese hier schon: Acht von neun angesoffenen Blasmusikern fallen beim Volksfest vergewaltigend über eine Aushilfskellnerin her, ein Mädchen von siebzehn Jahren. Siebzehn Jahr, das muß schon sein: Inbegriff des Mädchenhaften. Und weil nicht geklärt werden kann, wer von den neunen der einzig Gerechte war und die Polizei angerufen hat anstatt mitzutun, kann es halt jeder gewesen oder auch nicht gewesen sein, obwohl achte es gewesen sein müssen, aber man weiß halt nicht welche, denn die Polizei glaubt dem Anrufer nicht, und als dann doch ein Polizist mal rüberfährt, ist schon alles geschehen und das Mädchen von Urin und Sperma befleckt, was der erfahrene Forensiker im Interesse der Authentizität, versteht sich, einfach nicht verschweigen mag. Ob und warum es acht gewesen sein sollen, erfährt der Leser nicht, sondern darf der Logik des Autors vertrauen: wenn von neun Blas- musikern einer telefoniert, dann müssen die anderen achte vergewaltigt haben.

PARTY mit Rand 720

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Und weil alle maskiert waren, wie s bei Volksfesten vorkommt, kann das Opfer keinen der Rammler identifizieren. Der Leser fragt sich bang (falls er die Lektüre nicht wegen endogener Trash-Aversion einstellt): bis alle acht das Böse vollbracht haben, vergeht doch wohl mehr Zeit als ein Michael-Jackson-Song von Auftakt bis Schlußakkord braucht. Den hat der Autor sich als klangliche Tarnkappe zugunsten der Täter und seiner Story ausgedacht und obendrein, soviel Trash muß sein, als Bumsrhythmus angedeutet. Telefonanrufe bei der Polizei werden, das erstaunt, nicht aufgezeichnet, jedenfalls nicht beim Volksfest, und der Anrufer, unter dem Verdacht der Vergewaltigung in U-Haft oder Gewahrsam genommen wie die anderen Mitbläser auch, meldet sich daher nicht zu Worte, was per Abgleich mit einem aufgezeichneten Telefonat hätte Klarheit schaffen können. Offenbar besaß er auch kein Mobiltelefon, sondern ging, nein: stürzte zur Telefonzelle oder aufs Postamt. Auf die Idee, außerdem den Vorhang aufzuziehen und Hilfe in Gestalt ein paar kräftiger junger Volksfestbesucher herbeizubrüllen, kamen weder er noch der Autor. So unterbleibt der Entlastungsbeweis per Verbindungsnachweis, weil s die Story so will und das Amtstelefon nicht weiß, wer wann den kiloschweren Hörer von der Gabel hob und die Polizei anrief.

 

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Soweit die Moritat vom bitter abgeklärten Fachmann, der gerade seine anwaltliche Unschuld verliert, tief ins elend verfluchte Leben blickt und wie der Vergil vom Volksfest den schaudernden Leser durch den Ersten Kreis der Blasmusik geleitet, während Sperma und Pisse durch die Bühnenbretter triefen und ungläubige Dorfpolizisten Telefone mit der Handkurbel bedienen.

Epilog:

1. Wie soeben gemeldet wird, handelte es sich bei den neun Blasmusikern um nicht-wahhabitische Nordafrikaner, die sich als autochthone Bierzeltbläser maskiert hatten. Welcher von ihnen dem Drang zur Notzucht widerstanden hat, deutsch kann und die Polizei anrief, bleibt unklar, weil alle ihren nordafrikanischen Rand halten und der Autor prähistorische Telefone für möglich und die Leser für blöd hält. Und die Story mit der Aufhebung des U-Haftbefehls bzw. dessen Nichterlaß enden läßt, was er dem Publikum als Freispruch (!) andreht.

2. Dabei könnte man es belassen und den Ausflug eines Anwalts ins schriftstellerische Fach der Verjährung überantworten, als Träne im Ozean der Ramsch- und Überproduktion, gäbe es nicht eine bestürzende Nachricht: daß die in elegischer Protokolltonlage zusammengeleimte Pornoschnulze Anklang fand beim gebührenfinanzierten ZDF und ein neues Format schuf: Zuschauerbeteiligung incl. Und jetzt bitte das Handzeichen: Wer ist dafür, wer ist es nicht? Waren sie s oder waren sie s nicht? Hat was von Volksfest. A Blas- musi gibts dazu, die spielt das Lied vom Ferdinand und seiner Unschuld. Tusch.

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