Die Schönheit des Westens

Ich zitiere: „Und an dieser Stelle kommt auch unsere westliche Kultur und Kunst-geschichte ins Spiel. Wir sehen heute, dass Menschen selbst nach grösster Gefahr, auf Lesbos angekommen, das Mobiltelephon zücken und Selfies machen. Das ist heute technisch möglich, aber das Bürgertum bevorzugte lange Zeit immer noch das Portrait in Öl auf Leinwand. Bilder wie jenes, dessen Details wir hier betrachten, entstehen aus dem Willen, Schönheit zu konservieren, aber auch aus dem Wunsch nach sozialer Distinktion.“

Das waren Zeiten. Ernst Bloch hatte sie vor Augen: „Voll Deckchen überall, mit wallenden Portieren, samt Büfetts wie Ritterburgen, und daneben lehnten Hellebarden, mit Thermometerchen am Schaft. Die Frauen darum her wie Gretchen im Hoftheater, und Lenbach malte die Herren Direktoren aufwärts, als ob er Tintoretto hieße.“

„Bevorzugen“ kann nur, wer die Wahl hat zwischen mehreren Möglichkeiten, also min- destens zweien. Hatte das Bürgertum, das Ölporträts fertigen ließ, Alternativen? Sicher, ab ca. 1850 die Fotografie. Ab wann gab es die prollige Variante des Familienbildes? Und ver- schwand erst mit dem Aufkommen des Smartphone das Ölbild? Und was soll das Wort „aber“, das Unterschiede verdeutlicht, Einschränkungen, gar Widersprüche? Dann das Wort „selbst“, an dessen Stelle auch „sogar“ stehen könnte: es beschreibt die Steigerung des Unwahrscheinlichen ins Tatsächliche.

Unwahrscheinliche, dabei tatsächliche und massenhafte Eigen- und Fremdgefährdung per Bootsfahrt durch die strömungsreiche Meerenge östlich Lesbos – und dann sowas: anstatt einen Porträtmaler zu beauftragen, der seinen Géricault studiert hat und folglich weiß, wie Seenot aussieht, greift die Mischpoke zum Mobiltelefon und macht erst einmal ein Selfie. Wären sie doch Schwaben, dann entfiele wenigstens der infantile Anglizismus zugunsten eines trauten Selbschtle. Welches der Schwabe an die Lieben daheim schickte, damit sie wissen, daß er doch nicht im Mittelmeer ersoffen ist (Ai Weiwei übrigens auch nicht), sondern gerade das Wort Asyl deklamieren lernt, gefolgt von Erstaufnahme. Da bleibt für die Schönheit keine Zeit, auch nicht für ihre Konservierung, zu konservieren ist erstmal das blanke Leben, dessen Nachweis per Mobilphon an die Lieben daheim übersandt wird, weil Fertigung und Versand eines Ölgemäldes dauern und die Transportwege an Bombenkratern und Giftgaswolken entlang oder auch mitten hindurch führen.

Warum kommen nun „an dieser Stelle … unsere westliche Kultur und Kunstgeschichte ins Spiel“? Von welcher Stelle redet der Mann? Von der auf Lesbos? Welches Spiel wird da gespielt, in dessen Verlauf der halbe Orient gen Okzident migriert? Schiffchen versenken in der Ägäis, in Echtzeit und 3D?

Aber ich weiß immer noch nicht, was zig Tausende von Selbstporträts, aufgenommen in Südosteuropa von Nicht-Ertrunkenen, mit westlicher Kultur und Kunstgeschichte zu tun haben, wenn letztere doch ihren Ausdruck in kunstvollen Porträts und Figuren in Öl auf Leinwand findet. Halt: der Zusammenhang entsteht aus dem Kontrast. Von westlichem Porträt in Öl, aus bürgerlicher Zeit überkommen, weiß der Orientale, durchnäßt wie er so dasteht auf Lesbos mit dem Mobilphon in der Hand und der Schwimmweste am Leibe, rein gar nichts (das hat er übrigens mit nicht wenigen Menschen des modernen Westens und seiner Kultur gemein), und wenn ers wüßte, wärs ihm bis auf weiteres egal, denn, s. oben, erstmal gehts ums Überleben, Kunst hin, Kultur und Schönheit her.

Man kann den Trend zur Infantilisierung des Öffentlichen beklagen, man kann ihn mit einer kräftigen Philippika als das kennzeichnen, was er ist: als selige Verblödung im Kollektiv und den Gefällt-mir-Schalter als deren Ikone. Die Szenen, die sich am Strand von Lesbos oder Kos abspielen, sind dafür gerade kein Beispiel, denn es sind nicht kichernde Gute-Laune-Hanseln, die ihre Selbstporträts verschicken (und auch kein Ai Weiwei, der in ernster Ergriffenheit seinen Wanst am Strand auf Kieselsteinen bettet), sondern Überlebende. Denen Don A. es übrigens übel zu nehmen scheint, daß sie den Balkan, haben sie es erstmal soweit geschafft, per Bahn und Bus durchqueren und nicht zu Fuß. Gewisse Bilder hält er „nicht für vollkommen repräsentativ“, „um es höflich zu formulieren“, nämlich die „von in Decken gehüllten Wanderern in eiskalter Landschaft“.

Vielleicht hielte er, nach eigenem Bekunden aus privilegierter Schicht gebürtig und ver- wöhnt (um es höflich zu formulieren), auch ein Foto wie dieses hier –

„nicht für vollkommen repräsentativ“, und vielleicht ist es tatsächlich nur unvollkommen repräsentativ, weil es Lebende zeigt und keine Ertrunkenen und weil die Damen in ihren verschlammten Röcken eher wenig haben von der Belle-Epoque-Schönheit in Öl, wie sie Don A. zu bürgerlicher Kontemplation animiert, zumal sie in ihren Beuteln und Taschen bestenfalls Restbestände einer Habe tragen, zu der ein Smartphone gehören mag, nicht hingegen ein Porträt in Öl auf Leinwand.

 

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5 Antworten zu Die Schönheit des Westens

  1. Max Schott sagt:

    Herr Balzuweit, mein Beitrag war keine Antwort auf Ihren, falls das (aus mir unerfindlichen Gründen) so angekommen sein sollte. So schnell schreibe ich im übrigen nicht. Es ging mir um das faz.net-Forum und um die positive Rolle, die der Don-Alphonso-Blog in Sachen Leserbeteiligung spielt. Sie waren mit keiner Silbe gemeint.

  2. Balzuweit, Wolfgang sagt:

    Danke den richtenden und „richtig“ bewertenden Herrschaften oben. Sie gehören der richtigen Seite an, no doubt. Meinem aperçu zu Don fehlte der Zusatz „wie so oft“, denn eigentlich schätze ich ihn sehr.
    Eigentlich ging es hier aber doch um Flüchtlinge, vor allem aus Syrien. Hätte ich gewusst, dass das in gewissen Kreisen zu Solidaritätsstürmen und Abgrenzung zu „sich an Kommentare anhängende, den guten Umgangsformen abholde Zeitgenossen“ geriert, ich hätt´s glatt sein gelassen. Alleine um Ihnen diesen Ekel zu ersparen. Einen schönen Sonntag den Herrschaften.

  3. Max Schott sagt:

    Zur Ehrenrettung von Don Alphonso alias Rainer Meyer sei angemerkt, dass sein Blog wohl die einzige Möglichkeit bietet, auf faz.net über die Flüchtlinge zu debattieren. Er prüft und sortiert ja die teils länglichen Zuschriften selbst, offenkundig im Alleingang, und nicht selten nimmt er sich auch noch Zeit zum Antworten. So entlarvt er nebenbei die Begründung der FAZ-Moderatoren (und ihrer Kollegen anderswo) als faule Ausrede: dass es die Springflut von Pöbeleien leider erfordere, diesen Themenkomplex für Volkes Meinung zu sperren.

    Dem Niveau der faz.net-Leserkommentare bekommt die Zensur natürlich nicht so gut. Viele Foristen haben sich ausgeklinkt, vielleicht ist mancher auch rausmoderiert worden. Statt dessen scheint neuerdings ein Typus stark im Kommen, der sich Trittbrett fahrend und schulmeisternd unter jeden zweiten Leserkommentar klemmt, mE auffallend oft mit gedanklichem Sud der Tee-Partei. Aber das nur am Rande.

    Dem „Prügler” jedenfalls die besten Wünsche!
    Ihr M.S.

    • vmi sagt:

      Besten Dank, Herr Schott, für Ihren Zuspruch und Ihre Anmerkungen. Don Alphonsos Ehre scheint mir nicht in Gefahr, und ich wäre der letzte, sie in Zweifel ziehen zu wollen. Ich schätze seine Eloquenz, seine Bildung und seine ironische Begabung, nicht zuletzt auch seine Bereitschaft zum Disput. Auch mache ich ihm nicht zum Vorwurf, daß er eine differenzierte Sicht auf die Thematik Immigration & Flüchtlinge anmahnt, im Gegenteil. Nicht von ungefähr stimme ich ihm zu, soweit er die miserablen Manieren mancher frisch Zugereister beim Namen nennt. Meine Vorhaltung ist: daß ihm darüber die Typik und die Gewichte außer Proportion geraten, was allzuschnell den Beifall von Zeitgenossen findet, denen es um alles mögliche (und unmögliche) geht, bloß nicht um eine ebenso stabile wie zivile Gesellschaft mit aufgeklärten und verständigen Umgangsformen.

  4. Balzuweit, Wolfgang sagt:

    Schön geschrieben, das strotz vor Bildung. So wie Dons Gedöns.

    Ich hingegen frage mich ständig, warum dieser Bürgerkrieg? Gut, Syrien war nie ein Hort der Demokratie, schon unter Vater Assad nicht. Ich kenne die Berichte des Syrien-Kenners Scholl-Latour sehr wohl. Zumindest gab es die Religionsfreiheit, was im nahöstlichen Bereich ja alles andere als selbstverständlich ist. Von da hörte man bis vor 6-7 Jahren allenfalls etwas im Zusammenhang mit Israel (zu dieser Nation schreibe ich i.Z. mit den Vorgängen mal lieber nichts)
    Daher frage ich mich ständig ob die jetzt Flüchtenden als eine Seite im undurchsichtigen Bürgerkrieg nicht selbst verantwortlich für ihre Situation sind. So wie man es in linken Kreisen auch bei uns den Ostflüchtlingen infolge des sowjetischen Vormarsches 1944/45 an die Backe schmiert. Und wenn das bei uns unwidersprochen so stehen bleibt ist Mitleid mit den Syrern also bei mir nur begrenzt vorhanden. Und schon gar nicht dahingehend, dass ich mich an ihrer Invasion hier erfreuen könnte. Und wenn, dann allenfalls auf Zeit und schon gar nicht mit dem nordafrikanischen Beifang. Sorry.

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