Adolf Arndt (1904 – 1974), anerkannt als Verfassungsrechtler von Rang, bemerkte zum Recht auf freie Meinungsäußerung, es sei eben auch das Recht jedes Zeitgenossen, so dumm daherzureden wie es ihm nur möglich sei. Für die Pressefreiheit gilt sinngemäß gleiches. Ein flagrantes Beispiel lieferte Marcus Jung in der FAZ vom 09.11.2016. Thema: Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, wie sie in den Handelsabkommen CETA und TTIP vorgesehen ist.
Zur Ehrenrettung der FAZ sei vorab gesagt: sie bietet eine informative Führung durch den CETA-Vertragsentwurf, dies unter dem 29.09.2016. Verfasser ist Patrick Bernau, verantwortlicher Redakteur für Wirtschaft, zuständig für die Wirtschafts- und Finanzberichterstattung online. Hätte man doch ihm oder einem anderen befähigten Mitarbeiter des Hauses die Darlegungen zum Thema Schiedsgerichte überlassen und nicht dem frisch an Bord gelangten Junior Jung.
Denn der befindet allen Ernstes, „staatliche Gerichte“ seien „bei komplexen Fällen…meist heillos überfordert„. Internationalen Schiedsgerichten hingegen bescheinigt er „Expertise und entsprechende Budgets„. Anstelle einer Begründung erfolgt deren Versuch: Denn besetzt seien letztere mit „Rechtsgelehrten und Wirtschaftsanwälten„.
Was sind eigentlich „Wirtschaftsanwälte„? Und: Sitzen etwa beim OLG Frankfurt am Main oder Düsseldorf oder beim OLG Köln rudelweise Klempner auf der Richterbank? Von den Materien, über die BVerfG, BGH oder BFH samt anderer Gerichte immer mal wieder zu entscheiden hatten und haben, von den Urteilen zum Thema Lissabon-Vertrag oder jüngstens CETA wie auch von zahllosen anderen und denkbar komplexen Materien und Streitfällen hält der Autor sich vorsichtshalber fern. Sie könnten ihm – e contrario – die Reichweite seines Fachverstandes vor Augen führen.
Entgangen scheint ihm auch die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes betr. die sog. Investitionsgerichte, die im TTIP vorgesehen sind und an die Stelle nationaler und europäischer Gerichtsbarkeiten treten sollen. Der DRB sieht keine Notwendigkeit für die Einrichtung eines Sondergerichtshofes für Investoren und äußert leidenschaftslos beachtliche Zweifel an der fachlichen Kompetenz der zu berufenden Mitglieder des Spruchkörpers, dessen Zusammensetzung und Berufungskriterien im übrigen bis dato nicht näher geregelt seien.
Apokryph: der Deutsche Zivilprozeß
Herrn Jung ficht das nicht an. Im Wortlaut: „Zudem sind die Schiedsverfahren transparenter als mancher deutsche Zivilprozess. Jede Verfahrenshandlung lässt sich auf der Internetseite der Schiedsstelle nachvollziehen. Urteile sind komplett und mit Klarnamen der Parteien online abrufbar – in Deutschland wäre das undenkbar.“ Hierzu zweierlei:
1) Allein dank des zivil- wie strafrechtlichen Ehrenschutzes mögen Herrn Jung deutlichere Kommentierungen seines Kenntnisstandes erspart bleiben. Daß die Klage eines Investors – dies am Rande – , der sich durch Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung beschränkt sieht und deren Aufhebung oder Erlaß verlangt, in Deutschland in aller Regel vor dem Verwaltungsgericht anhängig zu machen wäre, ist Herrn Jung entgangen.
2) Die Namen der Prozeßparteien, sei es in zivilrechtlichen oder sonstigen Gerichtsverfahren, sind nicht online abrufbar, jedenfalls nicht über die Internetseiten der Gerichte. Was der Öffentlichkeit der Verfahren nicht entgegensteht: gem. § 169 des GerichtsVerfG sind Verhandlung und Urteilsverkündung öffentlich. Ausnahmen sind v.a. dem Schutz minderjähriger Angeklagter geschuldet, ebenso sind familiengerichtliche Verfahren nicht öffentlich. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Öffentlichkeit von der Verhandlung vorübergehend ausgeschlosen werden, sei es, weil Dinge aus dem Bereich der sexuellen Sphäre zur Sprache kommen müssen, sei es, daß ein streitiger Fall nähere Darlegungen oder eine detaillierte Beweiserhebung etwa zur wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens erfordert.
Herr Jung hat von diesen Selbstverständlichkeiten offenbar noch nicht gehört. Der Unterschied zwischen öffentlicher Verhandlung einerseits und den mitunter entwürdigenden Bloßstellungen a la google pp (Stichwort Bettina Wulff, ferner auch EuGH zum Thema Löschungspflichten) scheint ihm nicht zugänglich. Daß die Urteile der Bundesgerichte, also des BVerfG, des BGH, des BAG, des BVerwG und des BSG wie auch des BFH problemlos online zugänglich sind und das gemeinsam haben mit denen diverser Gerichte der verschiedenen Zweige und Instanzen (AmtsG, LG, FG, SG, VG, OLG bzw Kammergericht, OVG bzw VGH, LSG, ArbG, LAG etc. etc), kommt in seinem Aufsatz ebensowenig vor. Er hält es offenbar für ein Zeichen der Transparenz, wenn etwa die Einkommensverhältnisse oder zB die Krankenfehlzeiten incl. Diagnose des krankheitsbedingt gekündigten Herrn A, beschäftigt bei Firma B, für jedermann online einsehbar wären. Von Diskretion, einem Gebot der Menschenwürde, hat er noch nicht gehört.
Daß jenseits des Zugangs zum Gerichtssaal für jedermann (im Rahmen der verfügbaren Platzzahl) ein weiteres Mittel der „Transparenz“ gerichtlicher Verfahren besteht, betrieben und genutzt wird, scheint Herrn Jung ebenfalls entgangen: die Rede ist von der sogenannten Presse. Deren Mitarbeiter, man nennt sie Journalisten, berichten und veröffentlichen munter und tagtäglich, dies häufig auf fachlich verläßlichem Niveau, was öfters auch (aber halt nicht immer) für die FAZ gilt.
Wer wird denn recherchieren
Allerdings kann man auch nicht ständig den Dingen nachforschen, zu denen man sich in der Diktion des Szeneblattes kennerisch wie ahnungslos äußert, und wenn (oder gerade weil?) man es zehnmal auf welchem Wege und mit welchen Mitteln auch immer auf die Gehaltsliste der FAZ gebracht hat, von wo man offenbar ex catedra kündet. Recherchieren wird endlich entbehrlich. Ist man obendrein auch auf twitter aktiv, dem Forum eines kollektiven Infantilismus, wo man putzige Bildchen mit putzigen Anmerkungen („Game on, Bubi!„) plaziert, kommt das behagliche Gefühl, Bescheid zu wissen, von ganz allein. Zwei Beispiele:
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