Im Antiquariat W. sehe ich Georg Stefan Trollers „Personenbeschreibung“, die ich vor zwanzig Jahren las. Nun las ich sie erneut. Troller zitiert eine Textpassage Ernst Jüngers: Herrisches Zeugs, Appellhofgebell. Eingeschnappter alter Knabe macht auf hohe Sendung, auf Mahner und Prophet: Wille zur Rüstung, nationale Aufgabe, soldatische Grundsätze, deutsches Schicksal etc. etc. Im Wortlaut:
„…Neben den bewaffneten Heeren entstehen die modernen Armeen der Landwirtschaft, der Propaganda, der Wissenschaft, der Industrie. Aus ihrer nach soldatischen Grundsätzen aufgebauten Zusammenarbeit wächst das Bild eines neuen Krieges auf, eines Arbeitskrieges, der den Lebensraum der kämpfenden Völker lückenlos und pausenlos erfüllt . . . Eine der Folgerungen, die sich hieraus ergeben werden, ist die Erweiterung der Dienstpflicht nicht nur auf jeden Wehrfähigen, sondern auch auf jeden Arbeitsfähigen. Der Dienst mit der Waffe wird also nur der ehrenvolle Spezialfall einer bedeutend weitergespannten Verpflichtung . . . Daß bei uns nicht nur die Rüstung, sondern auch der Wille zur Rüstung im argen liegt, ist ein Zeichen, daß ein solches Prinzip sich in Deutschland noch nicht verkörpert hat. Zunächst kommt es daher darauf an, daß eine Schicht, die ihre Verantwortung gegenüber dem deutschen Schicksal kennt, in die bestimmenden Positionen dringt . . .“ (Ernst Jünger, zit. nach Georg Stefan Troller, Personenbeschreibung, München 1993, S. 412 f)
Warum zitiert Troller den widerwärtigen Bettel? Was ist der Anlaß? Dieser hier: die Stadt Frankfurt verleiht im Jahre 1982 in der Paulskirche den Goethepreis an Ernst Jünger.
Daheim suche und finde ich „Das Abenteuerliche Herz“, mein einziges Werk aus der Feder Jüngers. Ich hatte es vor drei oder vier Jahren in der sog. zweiten Fassung aus dem Jahre 1938 erworben und der Buchhändlerin bei gedämpfter Stimme und sichernden Blicken bedeutet, es sei nicht für mich, es sei für einen Bekannten. Sie verstand schweigend.
Grund der Anschaffung des kleinen Reclam-Bändchens: es soll sich um Poesie handeln, und allein der Titel macht (mich) neugierig auf die Schilderungen, und immerhin hatte kein geringerer als Horst Janssen (1929-1995) sich vom „Abenteuerlichen Herz“ inspirieren lassen, nämlich zu einer Anzahl grandioser Radierungen unter dem Titel „Nigromontanus“.
Lohnt es sich, über Jüngers Schriften auch nur ein Wort zu verlieren? Sich mit Adepten und ihren hymnischen Appellen abzugeben, dem Bekenntnisdrang nach Teilhabe am Hohen?
Vielen gilt Jünger als der veredelte Faschist (Jutta Ditfurth), als feinziselierender Barde und Schwärmer vom großen Totmachen, von Blut und artilleristischen Orgien. Er war ein Spanner, der den Hohn und den Sadismus – um nichts anderes handelte es sich – angesichts verreckender Jugend in den Schützengräben Flanderns zur Désinvolture verklärte und diesen Begriff terminologisch fragwürdig mit „Heiterkeit“ übersetzte.
Oft wird angeführt: aber (aber!) er sei doch auch Poet gewesen, Stilist, kontemplierend verzaubert, die Welt als Märchen erlebend. Das „Abenteuerliche Herz“ wird dann bemüht. Also lese ich da noch einmal nach.
Viele der kurzen Prosastücke aus dieser Sammlung offenbaren den pikierten Sammler, den prätentiösen Archivar, dies mit allen Folgen für die Stilistik, die sich der Sprache des Kanzlisten bedient, der die Pergamente verwahrt. Es ist die Attitüde des Poeten bei Hofe, der den Serenissimus zu rühmen hatte und vielleicht deshalb die Désinvolture zu preisen anhebt („anhebt“ – Herrgott, fang ich jetzt auch schon an? Hub ich an?) als die „unwiderstehliche Anmut der Macht“, als „Wuchs und freie Gabe“ und wie die Eingebungen eines höfischen Barden noch so daherkommen, auch als „eine besondere Form der Heiterkeit“, bei der es sich – ebf. wörtlich – handele um eine der „gewaltigen Waffen, über die der Mensch verfügt“.
Der Mensch. Natürlich nicht der landlose Bauer und seine fünf oder acht rachitischen Bälger, von denen die Hälfte nicht älter als vier oder fünf Jahre wird, und natürlich nicht der Malocher, der frühindustriell an Tb verreckt oder im Schützengraben, seiner Gliedmaßen beraubt, verblutet oder an einer Sepsis, hervorgerufen durch Schrapnellsplitter, draufgeht, die dem Heldentod unter Schmerzensschreien vorausgeht, die man noch im nächsten Landkreis hört. Dem deutschen Generaldirektor, der den Faschismus finanziert (so nannte ihn Thomas Mann in seinem Vortrag über Nietzsche, gehalten 1947 in Zürich) klingts in den Ohren wie süßer Chorgesang, denn Verrecken schafft Nachfrage.
Imperativer Grund zur Désinvolture mag auch der Fäkalien- und Verwesungsgestank des Schlacht- und Schützengrabens sein, und das wäre verständlich, allerdings nicht so nobel, wie es der höfische Barde gern hätte. Das hohe Lied vom niederen Odeur würde bei Hofe nicht geduldet, obwohl gerade der es nötig hätte. Damit der Verseschmied und Drechsler nicht hochkant rausfliegt aus jenen heilgen Hallen, in denen die „unwiderstehliche Anmut der Macht“ sich ihre Metöken hält, muß er schon edleres behaupten und besingen, Désinvolture nämlich, die sei ein „in hohen Häusern gepflegter Sproß“.
Das Hohe Haus als Heimstatt holder Heiterkeit
Bei der Lektüre (wann sonst?) stellt sich deshalb auch bald der Eindruck ein, da wäre einer gern zum Voltaire geworden, zu Hofe gebeten, zum Throne zitiert, dem Serenissimus (lat: serenus, deutsch: heiter) ganz nahe. Désinvolture als der Traum des Parvenu, der seiner Herkunft nicht sicher (oder sicherer, als ihm lieb) ist, und die er gern verschleiern würde, vergehend unter den körperwarmen Strahlungen einer thronenden Majestät und darin ihrer teilhaftig.
Die nichts dagegen hat, ihre Weisungen als höchster Abkunft auszugeben (besser: ausgeben zu lassen) und deren Vollzug als den eines göttlichen Willens. Hat Gott grad mal nicht den besten Ruf, was auf Schlachtfeldern und in Leichenhallen leicht geschieht, tun es auch Schicksal, die Vorsehung, der Mythos und das Volk oder eine Melange aus (und auf) allen vieren.
Die Verachtung des Kasino und seiner Leutnante fürs Fußvolk schimmert durch wie Brillantine auf der Stirnlocke. Es ist die Verachtung für die Einfachheit der Geschichte von einem, der ins Feld zog und nimmer heimkehrte, und vom Mädchen, das in seiner Kammer leise um ihn weint, das ganze ohne Rittersleut und edle Fräulein. Wer das rührselig findet, mag es mit Désinvolture versuchen, mit Heiterkeit nach Jünger. Die gut daran tut, den Umgang mit allzu einfachem Volk zu meiden, denn wenn das sich verachtet fühlt, teilt es denn doch mal aus. Und dem, der davon was ab- und ins Gesicht bekommt, mag darüber die Heiterkeit abhanden kommen, dies im Tausch gegen die Gewißheit, ein Wesen zu sein, das im Fleische wandelt.
Das sich bei dieser, immerhin, Gemeinsamkeit mit den Gewöhnlichen erst recht auf höhere Sphären besinnt und sich ihren Schutz erträumt.
Auf daß die Zinnie bestaunt und beschrieben werde, das Daseinswunder der Stoffe und Farben. Was andere aber besser konnten.