Am Strand von Lesbos: Da legst di nieder

18. Februar 2016

 

Ich hatte „noch ein paar Worte“ in Aussicht gestellt zu einem Thema, das eigentlich erledigt ist. Da aber unter jedem Sumpf noch ein Morast ist, es auf der Skala der Peinlichkeiten immer noch eine Stufe weiter nach unten geht und man bei diesem Abstieg derzeit in Berlin auf dem Gendarmenmarkt landet, falls man nicht dicke Männer betrachtet, die am Strand von Lesbos als Wasserleiche posieren, soweit sie nicht dankbare Flüchtlingsmädelchen mit Schoko-Keksen beschenken – item, wg. alledem und alledem doch noch ein Wort oder zwei:

Mit einer in Dingen der Kunst versierten und vielfältig gebildeten Freundin spreche ich über Ai Weiweis Kunst und Auftreten. Sie nimmt ihn gegen meine energischen Vorhal-tungen in Schutz und erwähnt sein freundliches, unaufdringliches Auftreten während der Vorbereitungen zu der Münchner Ausstellung 2009. Ich spüre Selbstzweifel: Bin ich zu streng, zu unduldsam? Tu ich dem Manne unrecht?

Nein, liebe Freundin. Nein. Unlängst lasen wir: ER plane ein Monument auf der Insel Lesbos, vor deren Ostküste laufend Menschen ertrinken und auf der tausende Flüchtlinge unter prekären Bedingungen hausen. Tausende Schwimmwesten hat ER schon einsam- meln lassen. Und bautz, da sind sie schon, mit quietschenden Reifen: 2000 Schwimm-westen, um die Säulen des Konzerthauses am Berliner Gendarmenmarkt gewickelt, sollen „an das Schicksal von Flüchtlingen erinnern“. Wie gut, daß einer wacht. Denn von dem Schicksal der Fliehenden, der Geschundenen und der Ertrunkenen hatte ich noch nie gehört und hätte es, sollte ich doch schon mal davon gehört haben, längst und glatt vergessen. Andere sind da weiter, etwa eine Dame in Berlin, die der Tagesspiegel in flagranti ansprach:

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gänsehaut

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Der Bildhauer (wieso eigentlich Bildhauer?), Menschenrechtler und, verzeih mir, liebe Freundin: Hansdampf an allen Stränden befand, bei tausenden Wasserleichen könne und wolle er nicht länger abseits liegen stehen (in China sagt man: Keine Feier ohne Meier).

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party berlin

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Aber wie? Und als was? Als Leichensack aus Lego-Steinchen? Der Kölner würde sagen: Schwierisch. Irgendwas mit toten Kindern? Der Berliner würde sagen: Hatten wir det nich grade? Kann sein, hat aber doch janz jut ganz gut geklappt. Und statt tausender toter Kinder macht sich auch eines ganz gut. Und so geschieht es – in einem Raptus akuter Anteilnahme wird Ai Weiwei zum Aylan Kurdi und legt sich am Strande nieder, während eine Crew aus Fotografen und Helfern die schamlose wie idiotische Inszenierung filmt und einer mit Kieselsteinen die Kunststoff-Folie beschwert, die Wanst und Antlitz des Schmerzensmannes gegen die irdische Kühle und die Nässe des Strandes abdämmen, während er bäuchlings posiert.

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on the beach

Ai Weiwei auf Lesbos: Da legst di nieder – © India Today

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Wie bekannt, nehmen Elend und Brutalität weltweit kein Ende. Für den teilnahmsvoll wie talentlos Kunstschaffenden eröffnet sich damit ein mächtiges Reservoir, vergleichbar einem Schnellen Brüter, das weder Regisseur noch Schauspieler braucht, weder Dreh- buchautor noch Repertoire und schon gar nicht solche altmodischen Dinge wie gestalterische Begabung, Takt und Schamgefühl.

Aus der Umgebung des Großen Mitfühlenden sind vertrauliche Hinweise auf die kommenden Performances bekannt geworden. Hier ein Auszug:

  • Ai Weiwei als Sarin-Opfer. Verschiedenfarbige Phiolen mit Sarin-Imitat bilden eine Art Dornenkrone um das Haupt des Künstlers, während er sich, umweht von toxisch grünem Bühnennebel, wie im Tremor und unter Erstickungsanfällen krümmt;
  • Als Opfer einer wahhabitischen Schwertperformance in saudischer Tracht mit einem täuschend echten Wachsimitat seines Kopfes unterm Arm in knieender Haltung, den (echten) Kopf auf einem Hauklotz aufgelegt;
  • Im Feuer amerikanischer Drohnenangriffe, Schutz suchend unter einer Burka, Arbeitstitel: Im Wald von Tora Bora;
  • Im orangefarbenen Overall, eingesperrt in eine Gitterbox, Arbeitstitel: Unser Mann in Guantanamo;
  • Als kindliches Mißbrauchsopfer, dessen (rasierte) Waden zwischen den Füßen unter dem Talar eines kirchlichen Würdenträgers hervorschaun;
  • Als Justizopfer in Texas, angeschnallt auf einer Liege mit Giftspritzenimitat im Unterarm, mit Sternenbanner als Leichentuch.

Guter Zweck braucht gutes Merchandising. Aktuell im Angebot: Ai-Weiwei-Phiolen und Giftspritzenimitate, Giftgasgranaten als Schirmständer (kleine Auflage handsigniert, Preise auf Anfrage). Eine Kollektion handbemalter Schrapnellsplitter, Titel: Action-painting in Aleppo. Eine Ai-Weiwei-Puppe, aufblasbar, mit abnehmbarem Kopf, Plastik-schwert und Burnus. Ein Gesangbuch für Knabenchöre, darin Porträts des Künstlers in Sängerknabentracht.

Für ganz Unerschrockene, für den starken Magen sozusagen, ein Exemplar des britischen Guardian vom 01. 02. 2016, darin ein Foto: Ai beschenkt kleines Flüchtlingsmädchen mit Schokoladenkeks, kleines Flüchtlingsmädchen lächelt dankbar. Diese Szene ist nicht er- funden, es handelt es sich nicht um eine satirische Eingebung. Sie ist echt. Und so niedlich.

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