So gering meine Sympathien für einen volkhaft reaktionären Katholizismus sind, so sehr ich manche Äußerungen und Absichten polnischer Politiker in diesen Tagen für bedenklich halte: EU-Volkskommissar Oettinger scheint mir am allerwenigsten berufen, sich zu Wort zu melden. Er will, und man mag es nicht glauben, Polen „unter Aufsicht stellen“.
Ungezogen und undankbar gibt sich diese Nation. Deutsche Beaufsichtigung der pol- nischen Gaue einschließlich einer aktiv sanktionierenden Verhaltenskontrolle mit sehr drastischen Folgen für die polnische Bevölkerungszahl ist schon wieder ein paar Jahrzehnte her, in deren Verlauf es offenbar zu lax herging. Da wird es Zeit. Ein strenges Machtmittel, das die Polen noch nicht kennen, sind Oettingers mangelhafte Kenntnisse der englischen (wie übrigens auch der deutschen) Sprache, deren Vokabular dieser oder jener Referent zusammengestellt haben mag und deren Phonetik er Hörerkreisen zuge- mutet hat, die dafür unser Mitgefühl verdienen. Vor dem Klang seiner Belehrungen, egal ob schwäbisch oder englisch (den Unterschied ebnet er bequem ein), dürfte ein musikalisch gebildetes Volk, das Frederic Chopin zu seinen Söhnen zählt, schreiend davonlaufen, soweit es sich nicht auf seine Tradition des Widerstands gegen Besatzer diverser Abkunft besinnt und Herrn Oettinger mit ein paar Maulschellen zur Besinnung bringt.
Kaum aussichtsreich wäre der Versuch, ihn über den historischen Kontext zu belehren, vor dem man seine Wortwahl und seine Absichten zu sehen hat. Denn Oettinger hat Erfahrung in rückwirkender Geschichtsoptimierung, nennen wir es einmal so. Den nach einem langen und (womit auch immer) erfüllten Leben verstorbenen Hans Karl Filbinger hatte er per Leichenrede zum Gegner der Nazi-Regimes umgestaltet. Der hatte neben anderen üblen Taten als Militärstaatsanwalt 1945 die Todesstrafe wegen Desertion gegen einen Marinesoldaten beantragt und nach dem Urteil, das seinem Antrag entsprach, sich selbst umgehend zum Vollstreckungsleiter bestellt und die Exekution persönlich beaufsichtigt. Das Landgericht Stuttgart bemerkte mit Urteil vom 13.07.1978 (ich zitiere aus der Erinnerung): „Die Kammer konnte auch keinen Rechtssatz ausfindig machen, der es den Angehörigen der Militärstrafgerichtsbarkeit, soweit sie anklagevertretende Funktionen ausübten, zur Pflicht gemacht hätte, der Vollstreckung von Todesurteilen persönlich beizuwohnen.“
Filbinger gefiel sich als Aufseher, und wie es scheint, gefiel ihm, was er sah. Vielleicht machte ihn gerade das dem Aufseher und Leichenredner Oettinger wenn nicht verwandt so doch sympathisch.
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