Navid Kermani beklagt in der FAZ das Ergebnis des englischen Referendums, das die EU-Mitgliedschaft Englands beenden könnte. Er stimmt eine Hymne an auf das Europa, das nach den Desastren des 20. Jahrhunderts in der Tat Fortschritt bedeutet und Aufklärung. „Am wichtigsten“ findet er eine „Gerichtsbarkeit, die über dem nationalen Recht steht“.
Letzteres überrascht. Zum einen gibt es keinen Grundsatz à la „Europarecht bricht nationales Recht“, und gäbe es ihn doch, wäre das nicht per se von Vorteil. Zum anderen haben sich nationale Gerichte, für Deutschland sei das BVerfG genannt, um Demokratie und Rechtsstaat verdient gemacht und dreisten Übermut der Behörden wie übrigens auch des Parlamentes mehr als einmal kräftig zurückgestutzt. Daß nicht alle Entscheidungen des BVerfG uneingeschränkten Beifall verdienen, manche im Gegenteil entschiedene Kritik, steht dem nicht entgegen. Auch haben Verwaltungsgerichte, Land- und Oberlandesgerichte öfters für Klarheit gesorgt und die gröbsten Selbstgewißheiten aus dem Weg geräumt. Daß sie solchen dann und wann selbst erlagen und erliegen, sei nicht in Abrede gestellt.
Navid Kermanis Mißverständnis beruht auf zweierlei: einem eher schlichten Kenntnisstand in Sachen Justiz generell und deutsche Gerichtsbarkeit im besonderen, ferner einer auffallend anspruchslosen Gleichung: national = beschränkt vs. europäisch = aufgeklärt, demokratisch, hell und modern. Dazu nur soviel: National verfaßt war das franquistische Spanien ebenso wie die nüchtern bürgerliche basisdemokratische Schweiz.
Groben Unverstand offenbart die Behauptung der „75 Prozent der jungen Briten, die gegen den Brexit gestimmt haben und in Deutschland eher achtzig oder neunzig Prozent wären“. Wären 75 % der jungen Briten in Deutschland zu 80 oder 90 % junge Deutsche? Was redet der Mann? Hat er Gesichte? À la: wenn die jungen Engländer doch bloß junge Deutsche wären? Würd es auf der Stelle Nacht und die Preußen kämen? Wenn doch die Katzen Pferde wären: man könnte auf die Dächer reiten.
Womöglich hat er den larmoyanten Artikel für bare Münze genommen, den Matthias Müller von Blumencron in der FAZ zu verantworten hat und der den derzeit gängigen Brei käut, daß nämlich in England die Alten die Jungen angeblich überstimmt hätten. Daß das Abstimmungsergebnis sich maßgeblich der niedrigen Beteiligung der Jungen verdankt (Presseberichte sprechen von 36%), maW einer ganz überwiegend apolitischen, einer desinteressierten Haltung, scheint der Aufmerksamkeit Müller von Blumencrons (der Name scheint einem Heinz-Erhard-Auftritt entsprungen) entgangen.
Im übrigen mag er bedenken: Sein allen Ernstes formulierter Aufruf, es möchten „die Jüngeren wieder härter mit den Älteren abrechnen“ (!), könnte ihm auf die gewiß wohlduftenden Füße fallen. Denn als Mann des Jahrgangs 1960 mag er von jugendlichem Furor träumen, sein Alter erlaubt ihm den nicht. So bleibt es bei einer lüsternen Phantasie für zwei Spalten in der FAZ. Wie die Abrechnung im einzelnen wohl auszusehen hätte (und wieso er eigentlich meint, er bliebe ggf. von ihr verschont), bleibt Eingebung und Geheimnis des Wuterkrankten. Was nicht überrascht: Feiglinge sind so.