Polizisten vorm Flüchtlingsheim: Ratlos

 

Dr. iur. Thomas de Maizière, Bundesminister des Inneren, weiß es: Hätte der Bundespolizist den 14-jährigen Knaben nicht mit körperlicher Gewalt aus dem Bus ins Heim zu Clausnitz geschleift, dann: hätte der Bus samt seinen Passagieren „umkehren müssen“. Und dann, so der Minister, hätten die gröhlenden Gestalten vorm Heim ja „noch Recht bekommen“. Eine andere Variante kam weder ihm noch der Polizei vor Ort, weder ihrer Einsatzleitung noch dem Chemnitzer Polizeipräsidenten in den Sinn: daß es sich bei der Meute vorm Clausnitzer Flüchtlingsheim in nüchtern polizeirechtlicher Diktion um Störer handelte. Gegen solche darf und muß die Polizei selbstverständlich vorgehen. Das tat sie auch: mit der Aufforderung, das Terrain zu räumen. Mehr fiel ihr nicht ein, und als das Pack nicht folgsam war, wußten sich dreißig uniformierte Polizisten keinen Rat. Verstärkung ranholen? Nie gehört. Wie geht das noch gleich? Dann der rettende Einfall: Der vierzehnjährige Bengel, der einem lüsternen Pöbel den Mittelfinger zeigt oder gestisch zuverstehen gibt, daß er ihn an die Laterne wünscht, der gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Er ist Störer, er gefährdet. Da hatte man nun den klassischen Eingriffstatbestand und schritt zum unmittelbaren Vollzug.

Feigheit vor und Kumpanei mit der Niedertracht sind kein sächsisches Spezifikum, es gibt sie auch in Sachsen-Anhalt. Als der Sänger Konstantin Wecker im März 2006 ein Konzert in Halberstadt geben wollte, kündigten Nazis an, sie wollten mit diversen Veranstaltungen zeitgleich vor Ort sein, und riefen ihre Kumpane im übrigen zu zahlreichem „Besuch“ des Wecker-Konzertes auf. Ihnen zuhilfe, dies im Sinne aktiver Mittäterschaft, kam der damalige Landrat Henning Rühe, der das Wecker-Konzert prompt verbot. Ich bezeichne ihn deshalb als befugten wie eilfertigen Feigling und frage mich, ob seine Entscheidung sich nicht womöglich einer mehr oder weniger ausgeprägten Sympathie, sei sie bewußt oder nicht, für die gestiefelten Totschläger verdankt. Mindestens von einer strukturellen Duldsamkeit wird man sprechen müssen, von struktureller Dummheit in jedem Fall. Letztere mag von der Sozialisation unter den Bedingungen eines militanten Spießertums und den Anmaßungen der Macht gefördert worden sein, der spiegelbildlich eine köterhafte Gehorsamsbereitschaft entsprach.

Gestern hatte ich Post von einer Bekannten von mir. Sara ist Lehrerin in Norditalien, sie ist zur Hälfte somalischer, zur Hälfte italienischer Abstammung, was man ihrer (unbedingt vorteilhaften) Erscheinung ansieht. Sie ist neugierig auf la Germania. Natürlich biete ich ihr meine Dienste an, nämlich eine Limousine und dazu einen Chauffeur, der fließend Deutsch spricht. Natürlich würden wir Hamburg besuchen und, molto affascinante, Berlin, dazu die westdeutsche Ostseeküste samt Lubeca und la casa di Thomas Mann, außerdem Beckmanns Frankfurter Synagoge im Städel zu Frankfurt und was nicht noch. Um Dresden oder auch Bautzen, beides eigentlich sehenswerte Städte, würden wir einen großen Bogen machen, dies aus Sicherheitsgründen und weil ich mich für den lauernden Pöbel, der dort weit häufiger als in anderen Gegenden das Bild prägt, schämen müßte.

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