Das war verflucht knapp. Mannomann. Um eine Haar wäre Europa verendet. Stranguliert von einer Teilmenge Belgier. Perfides Wallonien. Die Zukunft von 500 Millionen stand auf dem Spiel, und um ein Haar hätten die keine mehr gehabt. So und noch dümmer, falls möglich, keucht es aus den Hälsen einer Phalanx aus Presse- und anderen Interessenvertretern, schweifwedelnden Kündern samt ihrer Herren und Herrchen. Wagten es die Wallonen doch, einer zweifelhaften Abmachung ihr Plazet zu verweigern. Dabei machen sie grad mal ein Prozent der EU-Bevölkerung aus, wie der CDU-Parlamentarier Laschet verbittert wissen läßt, der sie offenbar durchgezählt hat und dem übrigens ein „Kerneuropa“ vorschwebt mit einigen Ländern, die „vorangehen“. Was logisch, dies ganz unter uns, welche voraussetzt, die hinterhergehen. Und die Slowenen und die Portugiesen und die Griechen können es sicher kaum erwarten, Herrn Laschet und andere beim Vorangehen a tergo bewundern zu dürfen, wie sie auf wiegendem Pferdehintern wie weiland der Mann aus Laramie der europäischen Bestimmung entgegenreiten. Ist grad kein Roß zur Hand, mag ersatzweise ein Pfingstochse bestiegen werden.
Herr Oettinger wiederum, spätestens als Schön- und Leichenredner für den mörderischen Nazi-Richter Filbinger allseits kenntlich geworden, empfindet die Zustimmungsbedürftigkeit eines internationalen Vertrages mit Bindungswirkung für sämtliche Mitgliedsländer durch deren Parlamente als „pervertiert“. Im Wortlaut: „Wenn jetzt ein einziges regionales Parlament, das vielleicht drei oder fünf Millionen Menschen vertritt – und damit gerade mal ein Prozent der EU-Bevölkerung – `Nein´ sagt, ist CETA gescheitert.“ Grade mal ein Prozent, laue drei oder fünf Millionen; auf die kommts offenbar nicht an, so und unmißverständlich die Gewißheiten des schwäbischen Herrenmenschle.
Elmar Brok findet es einfach „lächerlich“, wenn eine Teilmenge Europäer, noch dazu Wallonen, es wagt, der Mehrheit (so es sie denn gibt, was noch die Frage wäre) nicht zu folgen. Da ist der Euro-Parlamentarier Brok schon weiter, denn wenn im Anschluß an eine Zustimmung seitens der Mitgliedsstaaten „allein das Europäische Parlament“ entscheide, dann könne man „auf diese Art und Weise dann doch deutlich machen, dass demokratische Kontrolle vorhanden ist, aber gleichzeitig auch Handlungsfähigkeit vorhanden ist.“
Daß es eben an der Zustimmung, die er – immerhin, immerhin – für notwendig zu halten scheint, gerade fehlte, scheint dem dranghaften Propagandisten entgangen, vom Unterschied zwischen den Materien, die zur Kompetenz der EU gehören und solchen, die allein der Kompetenz souveräner Nationalstaaten unterliegen, nicht zu reden.
Wer die Gründe, die verschiedene Beteiligte zur Ablehnung bewegen, ignoriert, sei es, weil er sie nicht teilt, sei es, weil er sie nicht begriffen hat, muß von Erpressung reden oder auch vom „Europa im Würgegriff der Wallonen“. Letzteres erlaubt sich Henrick Kafsack, der keine Mühe scheut, die FAZ vor dem Ruf einer uneingeschränkt seriösen Zeitung zu bewahren und der befindet, „Handelspolitik“ sei „EU-Kompetenz“, und das könne “ in einem Binnenmarkt gar nicht anders sein.“ Schließlich könne „nicht jeder EU-Staat selbst entscheiden, welche Produkte er zu welchen Bedingungen in sein Land lässt … Eben deshalb gehört die Handelspolitik ins Europaparlament und nicht in den inzwischen legendären Kirchengemeinderat von Biberach.“ Und wer die retardierten Appelle nicht teilt, hat „im Politikunterricht nicht aufgepaßt“, so der Schreiber, den ein unberechenbares Schicksal als „Wirtschaftskorrespondenten“ nach Brüssel verschlagen hat, was ihm Ausweis höherer Berufung scheint, und der im „Politikunterricht“ – was für eine Veranstaltung das auch immer gewesen sein mag – immer schön aufgepaßt, allerdings nichts begriffen hat.
Soll man derlei eilfertiges Geschwätz überhaupt zitieren? Nun: es offenbart neben der prekären weil ungenügenden Erfassung des Sachverhaltes eine bemerkenswerte Herablassung, die in den Wallonen nicht gerade Untermenschen sieht, ihnen aber Ernsthaftigkeit und Sachverstand abspricht und ihnen auch dank ihres prozentualen Anteils an der EU-Gesamtbevölkerung ein herrisches „Maul halten!“ herüberbellt. Daß die bundesstaatliche Gliederung Belgiens und die daraus resultierende zwingende Mitbestimmung der sog. Regionalparlamente bei Eingehung weitreichender Bindungen den eifernden Galoppin an den Kirchengemeinderat von Biberach erinnern, offenbart jene dumpfe Provinzialität, die zur Überwindung der Froschperspektive einen Schemel erklimmt.
Von den Gründen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 13.10. 2016 dargelegt hat, hält sich die teils parlamentarisch, teils EU-exekutiv, teils journalistisch verfaßte Drückerkolonne tunlich fern. Das ist konsequent, denn die Entscheidungsgründe offenbaren demokratische und an der Verfassung orientierte Darlegungen, eine fern aller Wallungen gewissermaßen wallonische Grundstimmung beim erkennenden Senat. Der findet nämlich, daß der sog. gemischte CETA-Ausschuß nur ungefähr beschrieben ist, was Zusammensetzung und Zusammenwirken nebst Zustandekommen und Verbindlichkeit seiner Enscheidungen angeht.
Und letztere betreffen so allerhand Materien, die das BverfG im einzelnen benennt. Als da wären: „… handelspolitische Schutzmaßnahmen (Kapitel 3) ebenso … wie technische Handelshemmnisse (Kapitel 4), gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen (Kapitel 5), Zoll- und Handelserleichterungen (Kapitel 6), Subventionen (Kapitel 7), Investitionen (Kapitel 8), den grenzüberschreitenden Dienstleistungshandel (Kapitel 9), vorübergehende Einreise und vorübergehender Aufenthalt natürlicher Personen zu geschäftlichen Zwecken (Kapitel 10), die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen (Kapitel 11), Zulassungs- und Qualifikationserfordernisse (Kapitel 12), Finanzdienstleistungen (Kapitel 13), Dienstleistungen im internationalen Seeverkehr (Kapitel 14), die Telekommunikation (Kapitel 15), den elektronischen Geschäftsverkehr (Kapitel 16), die Wettbewerbspolitik (Kapitel 17), Staatsunternehmen, Monopole und Unternehmen mit besonderen Rechten oder Vorrechten (Kapitel 18), das öffentliche Beschaffungswesen (Kapitel 19) und das geistige Eigentum (Kapitel 20).“ (BverfG aaO)
Nochmal und nur in Auszügen: Staatsunternehmen, das öffentliche Beschaffungswesen, das geistige Eigentum, die Telekommunikation, Finanzdienstleistungen, Subventionen, grenzüberschreitender Dienstleistungshandel und noch viel mehr. Alles keine Kleinigkeiten. Deren Handhabung soll nach dem Willen der Claqeure und keifenden Streber der nationalen parlamentarischen Gesetzgebung entzogen bleiben.
Bei dieser weitreichenden Befugnis eines Gremiums, dessen Zusammensetzung und Verfahrensordnung zweifelhaft weil ungefähr und konturlos scheinen, sieht das BVerfG Art. 20 Abs. 1 u. 3 GG signifikant berührt (im Wortlaut: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat … Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.)
Das zwingende Erfordernis demokratischer Legitimation und Kontrolle sei, so das BverfG, bei der gegenwärtigen vertraglichen Regelung nicht gewahrt, sondern – wörtlich – „prekär“.