Unser Mann im Seiberspace

 

Ich teile Don Alphonsos Zorn angesichts des Elends, einen Fast-Mörder, der es mittlerweile zum Mörder gebracht hat, eine bösartige Visage also, zu zehn Jahren wegen versuchten Mordes zu verurteilen und ihn nach zwei Jahren aus der Vollzugshaft zu entlassen, dies, so die Presse lt. Don Alphonso, wegen Platzmangel in seinem griechischen Gefängnis. Ich teile den Zorn über die billigen Appelle, die von Berlin aus an die schaffende Bevölkerung ergehen, und ich bewundere jeden einzelnen Mitmenschen, der sich zugunsten der Flüchtlinge engagiert.

Ein Ärgernis, um es dezent auszudrücken, ist der jüngste und von vielen Lesern regelrecht gefeierte Artikel, den man seinem Verfasser um die Ohren hauen und mit einem Preis für publizistische Inkontinenz honorieren sollte. Der Reihe nach:

Außendienstler wissen: Wer fragt, führt. Daher die Frage: „Wissen Sie, wie hoch der Hartz IV Regelsatz für ein Kind ist?

Die Antwort beginnt nicht in derselben Zeile, obwohl dort noch Platz für die denkbar knappe Antwort wäre, die ihre Dummheit übrigens mit der der Frage teilt. Der Don Quijote der deutschen Publizistik kündet ernst: Ich kenne keine Altersgruppen mehr, ich kenne nur noch Kinder. Und mit dem Gesetzeswortlaut bleibe man mir vom Hals. Denn der könnte wegen Empörungsmangel abschwellen.

Die Frage „Wer kriegt denn nun wieviel?“ harrt aber immer noch der Beantwortung, die Spannung steigt und steigt. Der Artist in kleiner Manege greift zum typographischen Pendant des Tusch und kleinen Trommelwirbels: das ist der Absatz. Der schafft Abstand, läßt mehr Raum als bloßes Weiterschreiben in einer neuen Zeile. Und da kommt sie nun, mit quietschenden Reifen, die Antwort auf die Frage fast aller Fragen:

409 Euro im Monat“. Das, so Don Alphonso, sei der „Hartz IV Regelsatz für ein Kind„.

Blödsinn. Man lese den Gesetzestext: Kinder, die jünger als 6 Jahre sind, erhalten 237,00 EUR; vom vollendeten sechsten Lebensjahr bis einschließlich dem 13. sind es dann 270,00 EUR. Kinder bzw. Jugendliche in einem Alter von 14 bis 17 Jahren erhalten 306,00 EUR. Der Vollständigkeit halber und für Don Alphonso und die Seinen als Empörungsprophylaxe: Kindergeld wird als sog. anderweitiges Einkommen auf die Leistungen für die Bedarfsgemeinschaft angerechnet (lies: § 11 SGB II).

Dem blamablen Patzer folgt ein getragenes, ein knappes wie beherrschtes „J´accuse!“. Bei dessen Vortrag der Rezitator allerdings ausrutscht und lang hinschlägt. Von einer typographischen Kunstpause (Absatz!) eingestimmt, lesen wir die furchtbare Wahrheit:

409 Euro im Monat. Pflegefamilien unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge bekommen diese Summe in rund drei Tagen.

Das wären also flotte vier Riesen im Monat – und ist doch nicht von dieser Welt. Andernfalls wären minderjährige unbegleitete Flüchtlinge absolute Umsatzbringer, sie wären umworbene Knaller auf sämtlichen Tauschbörsen. Ist ein sog. minderjähriger unbegleiteter Flüchtling bei einer Pflegefamilie untergebracht, bekommt die dafür je nach Alter des Pfleglings zwischen 777 Euro (0 bis unter sechs Jahre) bzw. 858 Euro (sechs bis unter 12 Jahre) und 945 Euro pro Monat (12 bis unter 18 Jahre). Punkt. Die kenntnisfrei beschworenen Schock- und Phantasiekosten verdanken sich dem Unvermögen, zwischen Unterbringung bei einer Pflegefamilie und der in einer (ggf auch geschlossenen) Einrichtung per sog „Inobhutnahme“ zu unterscheiden. Die Kosten für letztere liegen in der Tat deutlich höher, können dabei aber je nach Einrichtung und Ort der Unterbringung und Personalschlüssel starke Schwankungen aufweisen.

Für die Niederschrift dieser Zeilen einschließlich der kleinen Recherche betr. aktuelle Regel- bzw. Pflegesätze habe ich knapp 110 Minuten gebraucht (und den Text später ein wenig gekürzt). Don Alphonso hatte diese Zeit nicht. Zu lange sprach er mit der Angestellten der von ihm frequentierten, zumindest erwähnten Tankstelle. Die wirtschaftliche und berufliche Situation dieser Frau möchte ich unter keinen Umständen sarkastisch kommentieren. Freilich wünsche ich ihr einen Gesprächspartner, der nicht nur teilnahmsvoll dreinschaut, sondern im Unterschied zum Gelegenheitskunden Don Alphonso auch weiß, wovon er redet. Zum Thema Kosten des rechtlichen Beistandes in einer Unterhaltssache sollte die prekär entlohnte Mitarbeiterin nicht mit ihm, sondern mit einer familienrechtlich engagierten und befähigten Anwältin sprechen. Die würde sie über die Möglichkeit der sog. Prozeßkostenhilfe informieren. Auch davon hat Don Alphonso noch nicht gehört.

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ps (15. 12. 2016) Die Ausführungen des Don A. könnte man ignorieren und sollte das vielleicht auch tun, da sie zum Erkenntnisgewinn nicht beitragen. Für Leser, die seinen Betrachtungen über den Weg trauen, gilt sogar das Gegenteil. Hervorzuheben war allein das Verhältnis zwischen der sprachlichen und typographisch verdeutlichenden Verve, der Brandrede einerseits und den drastischen Recherchefehlern andererseits.

Mittlerweile muß Don A. dank einer ganzen Anzahl insoweit erfreulicher Zuschriften zur Kenntnis nehmen, daß er sich blamiert hat. Darauf reagiert er mit Bordmitteln: er wird frech. Neuerdings kostet die Unterbringung „10.0000“ €, jedenfalls in Freiburger Obhutsanstalten, dazu gibts eine hingeraunzte Klarstellung:  „Jeder nimmt halt die Zahlen, die am besten passen.“ Mit diesem Hinweis illustriert Don A. vor allem eines: seine eigene Arbeitsweise.

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2 Antworten zu Unser Mann im Seiberspace

  1. Max Schott sagt:

    Don Alphonso dürfte fester freier Mitarbeiter sein. Er schreibt im flotten Akkord und betreut auch noch die lange Schleppe der Leserpost selbst. Letzteres ist im Prinzip löblich, zumal die faz.net-Moderatoren unliebsame Foristen weitgehend vergrault haben. Ersteres kann leider zu solchen Klöpsen führen, wie Sie ihn oben dankenswerterweise seziert haben. Das entschuldigt ihn nicht, zeigt aber ein grundsätzliches Problem: Texte werden offenbar nicht (mehr?) auf Faktentreue geprüft.

    Vor rund 20 Jahren suchte der Spiegel für sein zartes Online-Pflänzchen einen Chef. Ausgesucht wurde ein umgänglicher junger Redakteur namens Müller von Blumencron, dem man freie Hand ließ. Er steuerte das Beiboot in seichte, boulevardeske Gewässer, seiner rasch wachsenden Truppe fehlten Kompetenz und Erfahrung. Die Print-Leute betrachteten die Entwicklung von oben herab; es gab keinen Transfer journalistischen Knowhows. Das Ergebnis war zwar à la longue kaufmännisch halbwegs tragfähig, man wurde Marktführer, beschädigte aber das Image der Marke Spiegel irreparabel, wie sich zeigt. Dennoch wurde Blumencron sogar in die neu gebildete, gemeinsame Print-Online-Leitung berufen.

    Das ging nicht lange gut. Er wurde entlassen, gemeinsam mit seinem Print-Kompagnon Mascolo, und die FAZ griff zu. Dort macht Blumencron nun als Leiter des Digitalen weiter, wieder leidet die formale und inhaltliche Qualität. Beim Spiegel wird jedes Heft immer noch akribisch Satz für Satz vor Drucklegung gecheckt, so dass Fehler wie in der von Ihnen kritisierte nicht durchgehen. Bei SpOn hat man sich von diesem Standard längst verabschiedet. Und die FAZ hat ohnehin keinen so großen, teuren Apparat für die Verifikation. Opfer sind die eigene Glaubwürdigkeit und letztlich die Leser. Die Kundigen unter ihnen werden quasi zu Korrektoren einzelner Beiträge, die Mehrzahl darf das Dargebotene glauben oder nicht.

    Um diesen Trend zu stoppen oder gar umzukehren, bräuchte es Manpower, sprich Geld. Das wiederum wird online nicht ausreichend erwirtschaftet, und Print geht ohnehin den Bach hinunter angesichts rapide sich ändernder Lesegewohnheiten. Die Aussichten sind also trübe.

    • vmi sagt:

      Besten Dank, Herr Schott, für Ihre überlegte Zuschrift. Sie bringen mich da auf einen Gedanken, der eigentlich naheliegt, mir aber erst jetzt deutlicher vor Augen tritt: Journalismus gerät zunehmend zur Bananenlieferung, dh die Ware reift beim Kunden. Bezweifelt der Leser eine Tatsachenangabe, soll er doch selber forschen. Natürlich gilt für journalistische Arbeit das, was für jede andere Arbeit auch gilt: Sie ist schadensgeneigt. MaW: Fehler kommen vor. Was mich auf die Tastatur meines Computers einprügeln ließ, ist die grobe Fahrlässigkeit, die sich im Kernbereich journalistischen Tuns, dh der Recherche, zugetragen hat. Immerhin gab sich der Autor ernstlich informiert und mimte den Warner, als er mit ebenso exakten wie grundfalschen Zahlenangaben auflief. Und angesichts seiner reichlich kiebigen Anmerkung à la „jeder nimmt halt die Zahlen, die am besten passen“, scheint die Grenze der groben Fahrlässigkeit überschritten. Anzunehmen ist vielmehr bedingter Vorsatz.

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